Kompetenzmanagement ist ein Oberbegriff für das Bündel aller Maßnahmen der Erfassung und Entwicklung von Mitarbeiterkompetenzen, idealerweise ausgerichtet an der Unternehmensstrategie. Es ist beileibe kein neues Phänomen, wird aber in der Diagnostik im HR-Bereich gerade ganz neu entdeckt.
Kompetenzmanagement der ersten Stufe
Vereinfachend lässt sich die Herausbildung dieser Disziplin seit den 1970er-Jahren als Kompetenzmanagement der ersten Stufe kennzeichnen.
Ernüchtert ob der Untauglichkeit von Intelligenz- oder Persönlichkeitstests für die Vorhersage künftiger Handlungs- und Arbeitsfähigkeit von Personen, gewinnt in dieser Zeit mit dem Begriff Kompetenzen ein terminologisches Konstrukt an Bedeutung, das breit aufnahmefähig ist für die verschiedenen Standpunkte und Verwendungszusammenhänge in Forschung, betrieblicher Praxis wie auch Pisa-Debatte. Für die betriebliche Praxis setzt sich das Verständnis von Kompetenzen als Fähigkeiten zum selbst organisierten Handeln durch. Die professionalisierte Personalarbeit nimmt das Kompetenzmanagement willig auf als neue Disziplin der Personalplanung, die helfen kann, die Zukunft berechenbarer und sicherer zu machen.
Berufliche Verwendungssituationen und Laufbahnen erscheinen geplant, stabil und linear. Das Arbeiten mit Kompetenzen bietet dabei offensichtlich praktischen Nutzen, reduzieren doch Kompetenzmodelle unübersichtliche Sachverhalte auf das, was für relevant gehalten wird. Sie sind Idealbilder und beschreiben, was sich das Unternehmen zukünftig von seinen Mitarbeitern an Fähigkeiten und Leistung wünscht.
In der Praxis zeigt sich bis heute, dass sich viele Unternehmen schwertun, mit kompetenzbasierter Eignungsdiagnostik und daraus abgeleiteten Entscheidungen zu Auswahl, Einsatz, Entwicklung, Beförderung und Bezahlung des Mitarbeiters. Um die für eine Stelle relevanten Kompetenzen zu identifizieren, werden oft erstaunlich aufwendige Verfahren der Kompetenzmodell-Entwicklung gewählt. Im Glauben, Kompetenzen als solche nicht messen zu können, werden sie zur Messung in andere Konstrukte (Wissen, Fertigkeiten, Persönlichkeit, Interessen etc.) übertragen und nach dem Prüfen wieder rückübersetzt. Dies ist zeitintensiv und umständlich.
Überdies haben die resultierenden Kompetenzmodelle häufig das Problem, dass sie nur schwer auf spezifische Stellen anpassbar sind. Auch wenn in aufwendigen Prozessen mit zahlreichen Beteiligten Kompromisslösungen gefunden werden, bleibt problematisch, dass sich die Anforderungen schnell ändern können. Dies rückt andere Kompetenzen in den Fokus, aber eine Anpassung des entwickelten Profils ist träge. In der Praxis kann dies bedeuten, dass sich HR-Verantwortliche von dem Stellenprofil lösen. Damit gefährden sie jedoch die Standardisierung und somit die Fairness des Prozesses.
Die Neuentdeckung von Kompetenzmanagement
Die hausgemachten Schwachstellen in der Kompetenzmanagementpraxis lassen Raum für Verbesserungen, sprechen aber durchaus nicht gegen den Kompetenzansatz. Im Gegenteil:
In einer sich schnell wandelnden (volatile), unsicheren (uncertain), komplexen (complex) und mehrdeutigen (ambiguous) VUCA-(Welt), in der alles schneller passiert, weniger planbar ist und flexiblere Lösungen erfordert, ist der Rückgriff auf Kompetenzen wertvoller denn je. Denn sie sind durch geeignete Aneignungsformen erlern- und veränderbar. Dies betrifft Personalentscheidungen im gesamten HR-Lifecycle, also Auswahl, Entwicklung oder Beförderung.
Im Falle der Auswahl ist es ratsam, den Fokus vor allem auf die Kompetenzen zu legen, die schwer veränderbar sind und für den unmittelbaren Erfolg nach der Besetzung besonders wichtig erscheinen. In der Personalentwicklung ist es vorteilhafter, darauf zu achten, dass die ausgewählten Kompetenzen für die Position relevant und vor allem veränderbar sind.
Damit das Kompetenzmanagement wirklichen Nutzen entfalten kann, gilt es fünf einfache Grundsätze zu beachten:
1. Kompetenzen sind erlernte berufserfolgsrelevante Verhaltensweisen
Der praktische Nutzen des Kompetenzansatzes erschließt sich eher, wenn man Kompetenzen nicht schlicht mit Fähigkeiten und Fertigkeiten gleichsetzt, sondern als Verhaltensweisen erkennt, die eingesetzt werden, um gewünschte (Arbeits-) Ergebnisse zu erzielen. Versteht man Kompetenzen in diesem Sinn als individuell gelernte „Sets‟ von Wissen, Fertigkeiten, Fähigkeiten, Interessen, Persönlichkeit und situativen Gegebenheiten, wird ein ganz anderer Zugang zu Personalentscheidungen möglich: Ist eine Aufgabe erst einmal definiert, muss man sich nicht mit den vermeintlich erforderlichen Fertigkeiten begnügen, sondern kann sich ernsthaft fragen, welche praktischen Verhaltensweisen dem Einzelnen helfen können, diese Aufgabe bestmöglich zu bewältigen.
Mit dem Maß der Veränderung dessen, was und wie viel getan werden muss, gibt es kein fest umrissenes Profil von Fertigkeiten, die zu den Aufgaben passen, die vor uns liegen. Umso wichtiger wird die Fähigkeit zu lernen und Gelerntes anzuwenden. Jedes Unternehmen muss sich natürlich dann auch die Frage stellen, ob es in seiner Personalentwicklung die für die Kompetenzmessung und -entwicklung angemessenen Formate und Instrumente hat.
2. Kompetenzmanagement braucht eine valide Kompetenzmessung
Kompetenzen messen – aber richtig!
Ein Verfahren zur Kompetenzmessung muss psychometrisch vernünftig sein, also tatsächlich und verlässlich das messen, was es vorgibt zu messen. Zudem sollte es verfälschungssicher sein und dennoch den Vergleich von Personen ermöglichen.
Mit der Idee, Kompetenzen als messbare Konstrukte zu fassen, ist die Annahme, dass Kompetenzen selbst nicht messbar sind, überholt. Es ist damit möglich, berufliche Kompetenzen ohne umständliche Übersetzung und Rückübersetzung in andere Konstrukte (Persönlichkeit, Interessen etc.) zu erfassen und zu messen.
3. Ein valides Kompetenzrahmenmodell ist der strategische Schlüssel
Ein valides Kompetenzmodell ist der strategische Schlüssel zur Beschreibung der Anforderungen des Unternehmens an seine Mitarbeiter (m/w). Es beschreibt die Kompetenzen von Menschen, die in einer Organisation oder an einem bestimmten Arbeitsplatz erfolgreich sind oder es in Zukunft sein werden. Kompetenzmodelle gibt es wie Sand am Meer. Wer schon einmal dabei war, wenn ein Unternehmen sein eigenes Kompetenzmodell einführt, wird sich Möglichkeiten der Vereinfachung wünschen.
Hilfreich ist die Erkenntnis, dass den zahlreichen existierenden Kompetenzmodellen unterschiedlichster Unternehmen lediglich acht breite Kompetenzen zugrunde liegen, die „Great Eight‟. Unternehmen können dieses wissenschaftlich fundierte generische Kompetenzrahmenmodell als validen Ansatz für die eigene Kompetenzmodellentwicklung durchaus nutzen. In der Praxis reichen diese acht breiten Kompetenzen selten aus, um die Heterogenität der Anforderungen unterschiedlichster Stellen abzubilden. Also gilt es dann, für die einzubeziehenden Jobs und Job Familien die für den Berufserfolg relevanten Verhaltensweisen zu bestimmen und zu beschreiben.
4. Kompetenzmanagement ist Grundlagensystem für Personalentscheidungen
Die systematische Messung der Kompetenzen sollte kein Selbstzweck, sondern Basis für Personalentscheidungen sein. Kompetenzmanagement kann dadurch eine Art Grundlagensystem für die zentralen Personalprozesse – wie Rekrutierung, Beurteilung, Entwicklung, Führung, Performancemanagement, Nachfolgeplanung etc. – sein.
Die Kompetenzorientierung erfordert und ermöglicht zugleich eine andere, weitaus intensivere, Verständigung mit dem Einzelnen in der Sprache von praktischen, erfolgsrelevanten Verhaltensweisen. Es ist jedem Unternehmen unbedingt zu empfehlen, sich seine Auswahl-, Beurteilungs-, Führungs- und Entwicklungsinstrumente ernsthaft unter dem Gesichtspunkt anschauen, ob diese die Kompetenzorientierung auch wirklich fördern.
5. Kompetenzorientierung fordert und fördert Verständigung
Abgelehnte Bewerber und Kandidaten oder frustrierte Mitarbeiter sind verlorene Kunden. Im digitalen Zeitalter verbreiten sich negative Erfahrungen mit Personalentscheidungen zudem enorm schnell. Somit gewinnt das gekonnte Feedback an Bedeutung. Erneut stellt sich also die Herausforderung, dies kompetent, aber auch effizient und – vor allem – wertschätzend zu vermitteln. Wie sonst sollen die eingeschätzten Personen ihre Verhaltensweisen ändern? Diese Personen leiten aus derart transparentem Feedback ganz eigene Entscheidungen ab. Selbstselektion ersetzt bei Besetzungsentscheidungen dann so manche mehr oder weniger schwierig zu kommunizierende Entscheidung.
Zusammenfassung:
Zeitgemäßes Kompetenzmanagement braucht keine komplizierten, raffinierten Methoden. Einfacher ist es, sich von allzu aufwendigen Verfahren zu emanzipieren und sich konsequent auf das Managen der wirklich für den Berufserfolg relevanten Verhaltensweisen einzulassen.
Über den Autor:
Ludger Feldmann
FMT International Executive Search GmbH
und The ROC Institute
www.fmt-international.com
www.TheRocInstitute.com
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