Der plötzliche Rücktritt von Gladbachs Sportdirektor Max Eberl und sein Bekenntnis, mit seinen Kräften am Ende zu sein, hat das Thema psychische Belastungen im Job noch einmal mehr in den Vordergrund gerückt. Doch darf man das ansprechen? Und wie sollten Vorgesetzte reagieren?
Es kam einer Sensation gleich, dass ein erfolgreicher Sportfunktionär wie Max Eberl, der Direktor des Fußball-Bundesligisten Borussia Mönchengladbach, zurücktrat und dies mit einem akuten Erschöpfungssyndrom begründete. Ein Jahr zuvor sprach Nora Tschirner, nach „Keinohrhasen“ mit Til Schweiger von 2007 wohl eine der gefragtesten deutschen Schauspielerinnen, in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung erstmals offen über ihre Depressionen, ihre Therapieversuche, Einnahme von Psychopharmaka und ihren ersten großen Tiefpunkt vor zehn Jahren.
Die Fälle Eberl und Tschirner liegen freilich weit auseinander und sind nicht zu vergleichen, hier Erschöpfungssyndrom, dort eine immer wiederkehrende Depression. Der plötzliche Rücktritt Eberls kam mitten in die Zeit von Nachrichten über verstärkt auftretende psychische Erkrankungen wegen Long-COVID sowie bei Kindern, die wegen Dauer-Homeschooling keinen Kontakt mehr zu anderen Kindern haben.
Psychische Erkrankungen sind kein Corona-Novum, sondern haben auch vorher schon in erschreckendem Maße zugenommen. Ein Report der Barmer Krankenkasse hat für den Zeitraum 2005 bis 2016 ermittelt, dass die Zahl der psychisch erkrankten 18- bis 25-Jährigen um 38 Prozent in die Höhe geschnellt ist. Ein anderer Report der Barmer zu psychischen Erkrankungen am Arbeitsplatz nennt Zahlen von 2012, wonach die 18- bis 35-Jährigen mit 45 Prozent am meisten betroffen sind – weit über dem Schnitt von 33 Prozent, auch eine erschreckend hohe Zahl. Als häufigste Erkrankungen nennt eine dort erwähnte Studie von Wittchen & Jacobi Angststörungen, Alkoholstörungen, unipolare Depression und Zwangsstörungen.
Wie über die eigene psychische Erkrankung im Job sprechen? Wie auf Betroffene zugehen?
Nicht wenige Menschen tragen ein Leben lang „ihr Päckchen“ aus Kindheitstagen mit sich, leiden möglicherweise unter den Folgen von (sexuellem) Missbrauch, die oft erst Jahrzehnte später zu Belastungen führen können. Aber oft steht eine unüberwindbare Mauer der Scham im Wege, über die eigene Vergangenheit und psychische Krankheit überhaupt reden zu können.
Viele wollen sich noch nicht mal selbst eingestehen, dass da „irgendwas nicht stimmen kann“ mit sich. Wer will schon als „Weichei“ oder als gestört gelten? Männer schon gar nicht. Wer von den Machern will so wie Eberl plötzlich zugeben, dass sie am Ende ihrer Kräfte sind. Hier spricht man auch oft von Burnout. Dabei handelt es sich allerdings um ein Syndrom und keine Krankheit an sich, obwohl es laut Barmer eine Verwandtschaft zu Depressionen und seinen Symptomen hat.
Aber wie sagt man es seinen Vorgesetzten, Kolleginnen und Kolleginnen, wenn man spürt, dass man psychisch am Boden ist? Sollte man überhaupt offen damit umgehen? Sollten die anderen Beschäftigten oder Vorgesetzten einen ansprechen, wenn sie merken, dass da irgendwas nicht stimmen kann mit dem oder der Betroffenen? Schließlich stellt sich in dem Zusammenhang natürlich auch die Frage, welche Gesundheitsdaten Arbeitgebende einsehen dürfen. Und das ist gerade bei psychischen Erkrankungen ein ganz schwieriges Thema.
Sind Vorgesetzte sensibilisiert für psychische Erkrankungen bei Mitarbeitenden?
Die Beraterin und Coachin Anthea Backfisch vom Netzwerk Beratung & Entwicklung schrieb in einem GoodJobs-Beitrag, dass Führungskräfte eine besondere Verantwortung haben, wenn jemand im Team psychisch instabil ist. Sie sollten mit der betreffenden Person konkrete Arbeitsziele vereinbaren und dabei auch Geduld, Flexibilität und Verständnis aufbringen. Im Notfall sei auch zu empfehlen, eine Beratungsstelle oder psychotherapeutischen Beistand zu kontaktieren. Hat sich jemand „geoutet“, können Kolleginnen oder Kollegen auch nachfragen, welcher Umgang damit gewünscht ist. Denn so signalisiere man, dass man das als „ganz normales Thema“ sieht und keine Berührungsängste damit hat.
Auch die Universität Bielefeld kommt in einer Studie (Badura 2009) zu dem Ergebnis, dass der Führungsstil und der Umgang mit psychischen Erkrankungen in Unternehmen im Allgemeinen stark zur Gesundheit der Belegschaft insgesamt beitragen. Wenn etwa teaminterne Konflikte entstehen, Führungskräfte diese aber nicht lösen oder sich gar nicht mit ihnen befassen, erhöht das das Risiko von psychischen Erkrankungen bei den Mitarbeitenden.
Besteht hingegen eine qualitativ hochwertige Konfliktkultur in Unternehmen und gleichzeitig ein Bewusstsein bei Führungskräften für die Auswirkungen von Konflikten auf die psychische Gesundheit der Belegschaft, steigert das auch die Wettbewerbsfähigkeit und damit den Gewinn der gesamten Organisation.
Bleibt das Problem, dass viele Betroffene von psychischen Erkrankungen nicht wissen, wann und wie sie mit ihren Vorgesetzten sprechen sollen. Nicole Scheibner, geschäftsführende Partnerin des EO Instituts und verantwortlich für den Bereich Betriebliches Gesundheitsmanagement, ist der Ansicht, dass man bei einem unbefristeten Arbeitsverhältnis es den Vorgesetzten gegenüber sehr wohl ansprechen könne, wenn man merkt, dass die psychische Erkrankung die eigene Leistungsfähigkeit belastet.
Ihrer Erfahrung nach ist es der beste Weg, frühzeitig damit ins Gespräch zu gehen. Die Gefahr einer krankheitsbedingten Kündigung bestehe grundsätzlich erst mal nicht.
Anders sehe es jedoch bei befristeten Arbeitsverträgen aus, die vor allem viele junge Berufsanfänger haben. Angst vor Repressionen sieht sie auch eher unbegründet, denn ihrer Erfahrung nach sind Führungskräfte heute viel mehr sensibilisiert, was psychische Erkrankungen angeht. Und manche von ihnen empfänden es als Entlastung, wenn Betroffene sie darauf selbst ansprechen.
Was ist mit dem Versicherungsschutz im Falle einer psychischen Erkrankung?
Das klingt zu schön, um wahr zu sein. Denn die meisten Führungskräfte sind selbst Leistungsmenschen und erwarten auch volle Leistung von ihren Mitarbeitenden. Manche in leitenden Positionen sind auch „Toxiker“, weiden sich möglicherweise an der Schwäche ihrer Mitmenschen und wollen sie möglichst raus haben aus dem Team.
Das abzustellen, gehört möglicherweise auch zur Führungskräfteentwicklung. Abgesehen davon kann das Outen einer psychischen Erkrankung auch versicherungstechnische Konsequenzen nach sich ziehen. Man verliert vielleicht selbst nicht die Lebensversicherung, im Falle eines Suizids können die Angehörigen aber eventuell den Hinterbliebenenschutz verlieren, wenn bekannt wird, dass jemand vor Unterschreiben des Vertrags schon unter schweren Depressionen oder anderen psychischen Erkrankungen litt.
Was bringen betriebspsychologische Dienste im Falle von psychischen Erkrankungen im Job?
Helfen kann bei psychischen Erkrankungen einer oder eines Mitarbeitenden möglicherweise Vermittlungsversuche vonseiten der Arbeitnehmervertretung und der HR-Abteilung. Große Unternehmen leisten sich sogar einen eigenen betriebspsychologischen Dienst (BDP). Ob eine solche Stelle sinnvoll ist, hängt sicherlich von der Qualität der psychologischen Beratung und Behandlung ab. Kleineren Unternehmen bleibt oft nichts anderes übrig, als auf externen psychologischen Beistand zu verweisen. „Bei Unternehmen mit einem erhöhten Krankenstand oder einer hohen Fluktuationsrate, bei Häufungen von Überlastungsanzeigen oder Konflikten beziehungsweise Mobbingvorwürfen kann eine Betriebs-psychologische Beratung als Ergänzung zur psychischen Gefährdungsbeurteilung auf individueller Ebene angesehen werden und wird besonders empfohlen“, heißt es in einem Beitrag des Carl-Korth-Instituts, das sich auf Arbeitsmedizin, Arbeitssicherheit und Arbeitspsychologie spezialisiert hat.
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